Mehr Netto für Besserverdiener und Vermögende – Die Reallohnentwicklung seit 2002

Schon seit der Jahrtausendwende und spätestens mit Einführung der Hartz IV Gesetzgebung im Jahr 2005 macht sich innerhalb der Bevölkerung das Gefühl breit, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.

Betrachtet man nunmehr statistische Größen wie etwa die Entwicklung der Reallöhne in der Einkommensverteilung zwischen den Jahren 2000 bis 2012 (Grundlage für diese statistische Größe ist die Unterteilung der Einkommensgruppen in sogenannte Dezile, dass heißt in 10 gleich große Teile), so wird deutlich, dass es sich hierbei viel weniger um eine gefühlte Entwicklung und vielmehr um eine Tatsache handelt.

„Mehr Netto vom Brutto“ – leider nicht für alle

“Mehr Netto vom Brutto” ist einer der Wahlkampfslogans, die seit Jahren immer wieder von der Politik propagandiert werden. Tatsächlich ist wurde dieses Versprechen jedoch in den vergangenen zwanzig Jahren im Wesentlichen für Besserverdienende verwirklicht.

Zum einen wurde im Zuge der SPD Kanzlerschaft von Gerhard Schröder der Spitzensteuersatz, der noch 1999 53% betrug bis 2005 auf den noch heute aktuellen Wert von 42% abgesenkt. Der Spitzensteuersatz gilt dabei für den Teil des zu versteuernden Einkommens von mehr als etwa 52.000 Euro pro Jahr.

Wer berechnen möchte, wie sich die Abweichung zwischen Brutto und Netto in den letzten Jahren für sein persönliches Einkommen entwickelt hat, kann dies zum Beispiel mit einem der bekannten Brutto Netto Rechner online tun.

Die zweite große Maßnahme, die für Begüterte Personen einen deutlichen Anstieg des Netto-Einkommens bedeutete, ist die Einführung der so genannten Abgeltungssteuer im Jahr 2009. Bis 2008 wurden Kapitaleinkünfte (Zinsgewinne, Dividenden u.ä.) mit dem persönlichen Einkommensteuersatz versteuert. Gerade bei sehr vermögenden Steuerpflichtigen mit hohen Kapitalerträgen war dies oftmals der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer von damals immerhin noch 42%. Durch die Einführung der Abgeltungssteuer sank die Steuerlast auf Kapitalerträge jedoch auf maximal 25% zuzüglich Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer.

Einkommen aus bestehenden Vermögen wird laut dem Ökonomen und DIW Chef Marcel Fratzscher seit dem in Deutschland also deutlich weniger versteuert als Einkommen aus Arbeit.

Aus diesen Gründen konnte im Zeitraum 2000 bis 2012 bei den Reallöhnen im obersten Zehntel der Einkommensverteilung aufgrund steigender Einkommen aus Kapital (beziehungsweise wegen der aufgrund der Einführung der Abgeltungssteuer sinkenden Steuern auf Kapital) ein Anstieg um mehr als 15 Prozent konstatiert werden. In der Mitte der Einkommensverteilung hingegen stagnierten die Reallöhne. Diese Entwicklung dürfte sich auch in den nächsten Jahren fortsetzten.

Hartz IV drückt den Preis für Arbeitsleistung

Die Folgen der Hartz IV Reform und die damit einhergehende Ausweitung des Niedriglohnsektors wiederum bewirkte innerhalb der unteren Dezile der Einkommensverteilung ein deutliches Absinken der Reallöhne um 40 Prozent.

Grund dafür ist, dass Arbeitgebern durch die Einführung der Sanktionsregelungen im SGB II und die Pflicht zur Annahme von zumutbarer Arbeit unabhängig vom Lohnniveau die Möglichkeit gegeben wurde, Arbeitnehmer zur Arbeit zu zwingen – auch wenn die jeweilige Stelle für den gebotenen Lohn zu normalen Marktbedingungen (und der zuvor geltenden sozialrechtlichen Regelung) nicht zu besetzen gewesen wäre.

Folge ist, dass Arbeitgeber vielfach nur einen Lohn deutlich unterhalb des inzwischen geltenden Mindestlohnes anboten und der Arbeitnehmer zur Annahme des nicht marktgerechten Angebotes verpflichtet war. Diese Gelegenheit zur Beschaffung günstiger Arbeitskraft führte zu einer erheblichen Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland.

Waren im Jahre 2009 gerade einmal 5,8 Millionen aller Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor beschäftigt (18,7 Prozent), lag deren Zahl im Jahre 2013 bei 8,13 Millionen (24,4 Prozent). Folge jener Entwicklung ist, dass die Erwerbstätigkeit an sich nicht mehr zwingend vor Einkommensarmut schützt. Vor allem solche Arbeitnehmer, die zur Sicherung ihrer Existenz zusätzlich zum Lohn auf Leistungen im Sinne des SGB II angewiesen sind (sogenannte Aufstocker), erfahren das am eigenen Leib.

Im Gegensatz dazu entwickelte sich zwischen 2005 und 2012 die Erwerbsbeteiligung in den oberen Einkommensgruppen ausgesprochen dynamisch (Anstieg um 5 Prozent), wodurch die zeitweiligen Realeinkommensverluste im obersten Zehntel der Einkommensverteilung gut aufgefangen werden konnten.

Hohes Armutrisiko trotz Beschäftigungsrekorden

Das Paradoxon des einerseits seit vielen Jahren stagnierenden Armutsrisikos bei gleichzeitig immer neuen Beschäftigungsrekorden lässt sich somit sehr gut erklären. Als negatives Paradebeispiel kann insoweit die alleinerziehende, im Niedriglohnsektor arbeitende Frau angeführt werden, die trotz Vollzeitjob auf staatliche Alimentierung in Form des ALG II angewiesen ist.

Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland mittlerweile bei der Arbeitsarmut (Armut trotz Arbeit oder Armut durch Arbeit) einen traurigen Spitzenplatz ein. So erhöhte sich der Anteil armer Beschäftigter im Bundesgebiet zwischen 2004 und 2009 um 2,2 Prozent. In vergleichbar strukturierten Volkswirtschaften wie den Niederlanden und Österreich hingegen sank der Prozentsatz armer Beschäftigter um 0,9 beziehungsweise 1,9 Prozentpunkte.

Abschließend kann konstatiert werden, dass von den oben beschriebenen Verteilungsschieflagen sowohl die (immer weiter schrumpfende) Mittelschicht als auch Erwerbslose betroffen sind. Dies wird unter anderem deutlich, insofern man sich die marginale Anpassung des Hartz IV Regelsatzes bis zum Jahr 2014 vor Augen hält (Erhöhung von 345 auf 391 Euro monatlich).

Bezogen auf die Stagnation der Reallöhne in der deutschen Mittelschicht lohnt sich ein internationaler Vergleich der Entwicklung der Reallöhne. Während in den Jahren 2000 bis 2008 etwa in Frankreich und Großbritannien ein Anstieg der Reallöhne um 9,6 beziehungsweise 26,1 Prozentpunkte festgestellt werden konnte, ging die auch in allen übrigen EU-Staaten zu beobachtende positive Entwicklung der Reallöhne (Spitzenreiter Rumänien mit einem Anstieg um 331,7 Prozent) gänzlich am deutschen Arbeitnehmer vorbei.