Die Idee des Wohngelds ist im Kern sozial gedacht. Es soll Menschen mit geringem Einkommen ein würdiges Leben in einer angemessenen Wohnung ermöglichen. Doch was bedeutet „angemessen“, wenn der Quadratmeterpreis in München in manchen Vierteln bei über 20 Euro liegt? Wenn selbst in Randlagen von Berlin oder Hamburg für ein WG-Zimmer mehr verlangt wird, als manch einer für den gesamten Monat zur Verfügung hat? Die Wohnungssuche wird zur Herausforderung – für viele ein täglicher Kraftakt, der längst kein Einzelfall mehr ist.
Ein Zuschuss mit zu kurzem Atem?
Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern in Berlin erhält zum Beispiel rund 500 Euro Wohngeld im Monat. Auf dem Papier klingt das nach Unterstützung. Doch in der Realität ist es ein Tropfen auf dem heißen Stein. Denn selbst für eine kleine Dreizimmerwohnung muss sie oft über 1.200 Euro Kaltmiete einplanen – zuzüglich Nebenkosten, die durch steigende Energiepreise nicht mehr „Nebensache“ sind, sondern zur Hauptbelastung werden.
Das eigentliche Problem: Die Berechnungen des Wohngeldes orientieren sich an Mietobergrenzen, die oft meilenweit hinter der Wirklichkeit hinterherhinken. Wer in einer Wohnung lebt, die zu teuer ist, bekommt entweder gar nichts – oder ein gekürztes Wohngeld. Und das, obwohl kein Mensch freiwillig mehr bezahlt, als er muss. Es sind die Marktverhältnisse, die diktieren, nicht der Mietspiegel. Und der Staat zieht sich darauf zurück, als sei die Realität verhandelbar.
Wenn Wohnen zur Zerreißprobe wird
Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf. Es ist Rückzugsort, Sicherheit, Heimat. Doch wer ständig um seine Bleibe fürchtet, kann schwer zur Ruhe kommen. Die emotionale Belastung durch finanzielle Unsicherheit nagt – schleichend, aber stetig. Viele Familien jonglieren mit Überstunden, Minijobs oder verzichten auf Hobbys, soziale Teilhabe und manchmal sogar auf warme Mahlzeiten, nur um die Miete zu stemmen. Was bleibt, ist der stille Rückzug ins Private – oder in die Scham.
„Manchmal denke ich, ich lebe nur noch, um die nächste Miete zu zahlen“, erzählt ein Krankenpfleger aus Hamburg, der trotz Vollzeitjob Wohngeldanspruch hat.
Wohnkosten spalten die Gesellschaft
Der überhitzte Wohnungsmarkt schafft nicht nur finanzielle Härten, sondern auch eine neue Form sozialer Ausgrenzung. Wer sich die Mieten in der Innenstadt nicht mehr leisten kann, wird an den Rand gedrängt – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Ganze Berufsgruppen, von Pflegern über Erzieher bis hin zu Busfahrern, verschwinden aus den Innenstädten. Sie pendeln täglich stundenlang, weil ihr Berufsystem für die Gemeinschaft essenziell ist – aber nicht mehr für ein Leben „mittendrin“ reicht.
So entsteht eine stille Zweiklassengesellschaft: Wer es sich leisten kann, wohnt zentral, lebt vernetzt, profitiert von kurzen Wegen und kulturellen Angeboten. Wer auf Hilfe angewiesen ist, wird in weniger attraktive Stadtteile verdrängt, oft fernab von Kita-Plätzen, Ärzten oder öffentlicher Infrastruktur. Das Wohngeld kann diese Dynamik kaum auffangen – es verlangsamt sie allenfalls. Spürbare Folgen dieser Spaltung sind:
- Kinder aus einkommensschwachen Haushalten haben schlechtere Chancen auf gute Bildung, weil der Weg zur passenden Schule weit und beschwerlich ist.
- Ältere Menschen vereinsamen schneller, wenn sie aus ihrem gewohnten Umfeld verdrängt werden.
- Die Vielfalt der Städte nimmt ab – es entsteht ein homogenes Bild in den Zentren: gutverdienend, jung, mobil. Der Rest wird unsichtbar.
Was bleibt, ist ein Gefühl von „Nicht-mehr-dazugehören“. Und genau hier beginnt die Entfremdung, die das gesellschaftliche Klima spürbar verändert.
Eine Rechnung, die nicht mehr aufgeht
Was läuft falsch? Das Wohngeld orientiert sich an festgelegten Mietobergrenzen und Einkommensgrenzen, die regelmäßig angepasst werden – aber oft zu spät, zu zaghaft, zu weit weg vom echten Leben. Dabei ist die Höhe des Gesamteinkommens des Haushalts entscheidend für die Unterstützung – ebenso wie die Miete, die tatsächlich bezahlt werden muss.
In Städten wie Berlin, München oder Hamburg, wo Wohnraum knapp und begehrt ist, führt das zu einer klaffenden Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Folge: Menschen mit Anspruch auf Unterstützung bekommen entweder zu wenig oder gar nichts, weil ihre tatsächliche Miete „zu hoch“ ist, um als förderfähig zu gelten – ein Paradoxon, das niemandem hilft.
Ein Blick auf die Fakten:
- In München liegt die durchschnittliche Kaltmiete pro Quadratmeter (2024) bei etwa 18,50 Euro – Tendenz steigend.
- Das Wohngeld berücksichtigt jedoch häufig Mietobergrenzen von maximal 14 bis 15 Euro pro Quadratmeter.
- Die Folge: Wohnungen, die realistisch angeboten werden, liegen außerhalb des förderfähigen Rahmens.
Perspektiven, die fehlen
Natürlich gab es Reformen: Das Wohngeld wurde mehrfach erhöht, zuletzt mit der Wohngeld-Plus-Reform. Auch Heizkosten sollen anteilig übernommen werden. Doch die Lücke zur Lebensrealität bleibt. Der Wohnungsmarkt kennt keine Gnade. Wer nicht mithalten kann, fällt durchs Raster – selbst mit Zuschuss.
Was es braucht, ist ein echter Strukturwandel: mehr bezahlbarer Wohnraum, weniger Bürokratie, schnellere Anpassung an Marktverhältnisse. Und vor allem eine Politik, die nicht auf Durchschnittswerte schaut, sondern auf Einzelschicksale. Was Betroffene fordern ist:
- Dynamische Anpassung der Mietobergrenzen an den lokalen Mietspiegel
- Schnellere Bearbeitungszeiten und unkompliziertere Antragstellung
- Mehr Transparenz und Aufklärung über Rechte und Möglichkeiten
- Investitionen in sozialen Wohnungsbau statt bloßer Subventionierung von Mietpreisen
Zwischen Hoffnung und Realität
Das Wohngeld ist ein wichtiges Instrument. Es hilft – aber eben nicht allen und nicht ausreichend. In einem Land, das sich als Sozialstaat versteht, darf Wohnen keine Frage des Glücks oder der Herkunft sein. Es braucht Mut zur Veränderung. Denn Menschenwürde beginnt nicht beim Einkommen, sondern bei der Türschwelle zur eigenen Wohnung.
Ob das Wohngeld reicht? Die Antwort ist simpel – und ernüchternd: In vielen Großstädten längst nicht mehr.
Aber sie könnte wieder lauten: Ja, wenn wir bereit sind, unser System neu zu denken.