Generation Z und der Sozialstaat

Sie sitzen in Cafés mit Laptops, swipen durch Newsfeeds, lernen via YouTube und sprechen ganz selbstverständlich über mentale Gesundheit, Nachhaltigkeit und Purpose. Die Generation Z ist klug, vernetzt, pragmatisch – und zutiefst geprägt von den Krisen ihrer Zeit. Klimawandel, Pandemie, Krieg, Inflation. Kaum eine Altersgruppe musste schon in so jungen Jahren so viel Unsicherheit aushalten. Während früher vielleicht noch das Bild einer stabilen Zukunft mit Eigenheim, Rente und Familie lockte, erscheint vielen jungen Menschen dieses Ideal heute wie ein nostalgisches Märchen aus einer anderen Zeit.

In dieser Realität begegnen sie einem System, das einst als Bollwerk der Sicherheit galt: dem deutschen Sozialstaat – lange Zeit international als Vorbild eines modernen Sozialstaats gepriesen. Doch statt Schutz verspüren viele Skepsis. Wie stabil ist ein System, das auf einer demografischen Pyramide fußt, die längst zur Sanduhr geworden ist? Warum soll man etwas finanzieren, von dem man glaubt, am Ende selbst kaum noch zu profitieren? Die einstige Gewissheit, im Notfall aufgefangen zu werden, weicht zunehmend dem Gefühl: Ich muss mich selbst absichern, sonst bleibt nichts übrig.

Diese Haltung hat Gründe – und sie verdient es, differenziert betrachtet zu werden.

Rente als Versprechen mit Verfallsdatum?

Für viele aus der Generation Z wirkt die Rente wie ein Luftschloss, das in weiter Ferne schwebt und sich bei näherem Hinsehen in Nebel auflöst. Offizielle Prognosen sprechen eine klare Sprache: Wer heute um die 20 ist, wird voraussichtlich bis 70 arbeiten müssen. Und selbst dann könnten die Renten nur knapp über dem Existenzminimum liegen – trotz jahrzehntelanger Einzahlung. Dieses Gefühl, arm trotz Arbeit zu sein, ist keine Seltenheit mehr, sondern ein wachsendes gesellschaftliches Problem.

Die demografische Entwicklung zeigt drastische Verschiebungen: Immer weniger Erwerbstätige finanzieren immer mehr Rentner. 1962 kamen auf einen Rentner noch sechs Beitragszahler – 2022 waren es nur noch knapp zwei. Diese Schere öffnet sich weiter. Kein Wunder also, dass junge Menschen sich fragen: Für wen zahle ich eigentlich ein? Und bekomme ich später überhaupt noch etwas zurück?

Solidarität mit Frustfaktor

Die Idee der solidarischen Krankenversicherung ist großartig – auf dem Papier. Doch in der Lebensrealität vieler junger Menschen stößt sie auf Barrieren. Lange Wartezeiten beim Facharzt, fehlende Kapazitäten in der Psychotherapie, veraltete Prozesse und widersprüchliche Abrechnungen lassen das Vertrauen in das Gesundheitssystem schwinden.

Hinzu kommt das Gefühl, nicht im Zentrum der Versorgung zu stehen. Wer jung und gesund ist, merkt oft erst bei Problemen, wie zäh das System funktionieren kann. Gleichzeitig steigen die Beiträge, was den Eindruck verstärkt, mehr zu geben als zu bekommen. In einer Welt, die Transparenz und unmittelbare Rückmeldung gewohnt ist, wirkt die gesetzliche Krankenversicherung wie ein behäbiger Tanker im Zeitalter von Schnellbooten. Viele Sozialleistungsansprüche werden nicht genutzt, weil das System zu kompliziert erscheint oder zu undurchsichtig kommuniziert wird – und genau das verschärft soziale Ungleichheiten weiter.

Absicherung mit Lücken beim ALG

Die Arbeitswelt hat sich gewandelt. Projektverträge, Start-ups, Selbstständigkeit, hybrides Arbeiten – klassische Erwerbsbiografien werden zur Ausnahme. Doch das System der Arbeitslosenversicherung basiert noch auf dem Ideal stabiler Vollzeitanstellungen. Junge Menschen, die in neuen Arbeitsmodellen unterwegs sind, fallen häufig durch das Raster.

Zudem ist die Kommunikation über Arbeitslosengeld oft sperrig. Wer weiß schon genau, wie viel er im Fall der Fälle bekommt oder welche Ansprüche gelten? Die Angst, im Notfall mit Anträgen und Auflagen überfordert zu sein, ist real. Und sie wirkt – bewusst oder unbewusst – abschreckend. Besonders kritisch ist, dass Bürgergeld und Löhne zu dicht beieinander liegen, wie viele junge Berufseinsteiger feststellen. Die geringe Differenz demotiviert und lässt Leistungsbereitschaft und Vertrauen in das System schwinden.

Misstrauen versuchen zu überwinden

Ein Blick auf aktuelle Daten zeigt, dass die Skepsis der Generation Z nicht aus der Luft gegriffen ist:

  • Rentenquote: Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung wird die sogenannte Beitragszahler-Rentner-Quote von derzeit 2:1 bis 2040 auf etwa 1,3:1 sinken – was bedeutet, dass deutlich weniger Erwerbstätige eine steigende Zahl an Rentnern finanzieren müssen.
  • Rentenniveau: Das durchschnittliche Rentenniveau liegt aktuell bei ca. 48 Prozent des letzten Bruttoeinkommens. Für viele junge Erwerbstätige würde das im Alter kaum zum Leben reichen – trotz jahrzehntelanger Einzahlung.
  • Krankenversicherungskosten: Der durchschnittliche Zusatzbeitrag der gesetzlichen Krankenkassen wurde Anfang 2024 auf 1,7 % erhöht. Die Gesamtabgabenlast für gesetzlich Versicherte liegt damit bei über 16 % vom Bruttolohn.
  • Psychotherapeutische Versorgung: Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung müssen gesetzlich Versicherte im Schnitt 5 bis 6 Monate auf einen Psychotherapieplatz warten – ein Zeitraum, der besonders für junge Menschen mit akuten psychischen Belastungen eine Zumutung darstellt.
  • Vertrauen in den Sozialstaat: Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zeigt, dass nur noch 39 % der 18- bis 29-Jährigen davon überzeugt sind, dass der Sozialstaat ihnen im Alter Sicherheit bieten wird. 2010 waren es noch 60 %.

Diese Zahlen verdeutlichen: Das Misstrauen ist kein Stimmungsphänomen – es speist sich aus konkreten Erfahrungen, Beobachtungen und strukturellen Defiziten. Drei Gründe für das bröckelnde Vertrauen der Generation Z sind:

  • Erlebte Realität im Familien- und Bekanntenkreis
    Viele junge Menschen erleben hautnah, wie schwierig der Alltag für pflegebedürftige Großeltern, kranke Eltern oder beruflich gestrandete Freunde geworden ist. Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist sichtbarer denn je. Hinzu kommt: Kinder und Jugendliche sehen häufig, wie ihre Eltern oder Verwandten arbeiten gehen – und dennoch finanziell kaum über die Runden kommen. Das prägt. Sozialsysteme prägen die Jugend, oft schon im Teenageralter.
  • Digitale Lebenswelt vs. analoge Bürokratie
    In einer Welt voller Apps, Echtzeit-Kommunikation und smartem Design wirken Sozialleistungen wie ein verstaubtes Archiv. Die Kluft zwischen Nutzererwartung und Systemwirklichkeit fördert Entfremdung.
  • Wertewandel und neue Lebensmodelle
    Die Generation Z ist nicht mehr auf ein „sicheres Angestelltenleben“ programmiert. Sie denkt in Lebensphasen, Zwischenlösungen, selbstgewählten Brüchen. Ein Sozialstaat, der auf Linearität basiert, wirkt in dieser Welt oft fremd.

Was der Sozialstaat jetzt tun muss

Vertrauen ist keine Frage der Nostalgie – sondern des Erlebens. Wenn der Sozialstaat für die junge Generation relevant bleiben will, muss er sich wandeln:

  • Transparente Kommunikation: Klare, digitale Aufbereitung von Informationen – verständlich, schnell und nachvollziehbar.
  • Strukturelle Reformen: Ein Rentensystem, das auch neue Erwerbsmodelle berücksichtigt. Eine Krankenversicherung, die Versorgung statt Verwaltung bietet. Ein Arbeitslosengeld, das lebensnah gestaltet ist.
  • Mehr Dialog: Junge Menschen wollen gehört und einbezogen werden. Wer mitgestalten darf, verliert das Gefühl von Ohnmacht.

Die Generation Z steht nicht vor einem Trümmerhaufen, aber vor einer gewaltigen Aufgabe: die sozialen Sicherungssysteme zu tragen – und gleichzeitig daran zu glauben, dass sie selbst davon profitieren werden. Noch ist nicht alles verloren. Doch wenn der Sozialstaat ein zukunftsfähiges Fundament behalten soll, dann muss er sich den Blicken, Sorgen und Ideen dieser jungen Generation stellen.

Denn wer Zukunft gestalten will, darf sie nicht nur verwalten.