Nachrichten aus Juli 2025

Finanzielle und rechtliche Hilfe gegen Wohnungsnot

Das Wohngeld ist für viele Mieter die wichtigste finanzielle Unterstützung, wenn die Wohnkosten das Budget zu stark belasten. Es ist ein Zuschuss, den der Staat gewährt, um die Wohnkosten zu reduzieren und so bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen. Dabei hilft das Wohngeld, die Differenz zwischen dem Einkommen und den tatsächlich anfallenden Mietkosten abzufedern.

Was ist Wohngeld? Wohngeld ist ein staatlicher Zuschuss, der die Differenz zwischen dem Einkommen und den tatsächlichen Mietkosten abfedert, um bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen.
Doch so einfach das klingt – die Realität ist komplex. Wohngeld ist an strenge Bedingungen geknüpft: Die Höhe des Einkommens, die Anzahl der Haushaltsmitglieder und die Miethöhe spielen eine entscheidende Rolle. Auch die Art der Unterkunft – ob Wohnung, Haus oder ein alternatives Wohnmodell – kann Einfluss auf den Anspruch haben. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, geht leer aus. Zudem verlangen die Antragsformulare genaue Angaben und oft umfangreiche Nachweise. Für viele Menschen wird der Antrag so zu einer bürokratischen Hürde, die sie ohne Hilfe kaum überwinden können. Hier zeigt sich deutlich: Hilfe darf nicht zur Hürde werden. Ein großer Teil der Menschen, die Anspruch auf Wohngeld hätten, beantragt es nicht – aus Unwissenheit, Angst vor dem Aufwand oder der Überforderung mit den Anforderungen. Die Folgen sind gravierend: finanzielle Engpässe, drohende Mietrückstände und im schlimmsten Fall die Kündigung der Wohnung.

Beratungshilfe als Schlüssel zum Erfolg

Genau hier kommt die Beratungshilfe ins Spiel. Sie ist ein staatlich gefördertes Angebot, das Menschen mit geringem Einkommen ermöglicht, juristischen Beistand in Anspruch zu nehmen – ohne dafür tief in die Tasche greifen zu müssen. Für viele Betroffene ist sie ein Rettungsanker im Bürokratiedschungel. Beratungshilfe bedeutet, dass man bei rechtlichen Problemen Unterstützung bekommt, die von der Antragstellung bis zum Widerspruch und darüber hinaus reicht. Im Kontext von Wohngeld heißt das konkret:
  • Überprüfung, ob überhaupt ein Anspruch auf Wohngeld besteht und wie hoch dieser sein könnte.
  • Unterstützung beim Ausfüllen der oft komplizierten Antragsformulare – damit keine wichtigen Informationen vergessen oder falsch angegeben werden.
  • Hilfe bei der Zusammenstellung und Einreichung aller erforderlichen Nachweise, von Einkommensbescheinigungen bis zu Mietverträgen.
  • Beratung zu Fristen und Verfahrensabläufen, damit Anträge pünktlich bearbeitet werden können.
  • Unterstützung bei der Einlegung von Widersprüchen oder Klagen, falls der Antrag abgelehnt wird.
Diese Hilfe wirkt weit über das bloße Ausfüllen von Formularen hinaus. Beratungshilfe gibt den Betroffenen Sicherheit und das Gefühl, nicht allein im System zu stehen. Gerade Menschen, die sich durch bürokratische Vorgänge überfordert fühlen oder mit der Sprache kämpfen, finden hier einen verlässlichen Partner.

Warum allein Wohngeld nicht reicht

Wohngeld ist eine wichtige Stütze – doch es ist kein Allheilmittel. Die Ursachen für Wohnungsnot sind vielschichtig: Es fehlt an bezahlbarem Wohnraum, die Nachfrage übersteigt das Angebot deutlich, und Mietpreise steigen rasant. Wer mit seinem Einkommen kaum über die Runden kommt, für den ist Wohngeld zwar eine Hilfe, aber keine Lösung für die grundsätzlichen Probleme. Reicht das Wohngeld überhaupt noch? Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass allein die finanzielle Unterstützung oft nicht ausreicht, wenn Menschen nicht wissen, wie sie sie beantragen können oder mit Ablehnungen umgehen. Die Bürokratie wirkt wie eine unsichtbare Mauer, die viele abweist, bevor sie überhaupt Hilfe erhalten. Hier wird deutlich, wie entscheidend die Beratungshilfe ist. Sie öffnet die Türen zu dieser finanziellen Unterstützung erst richtig. Ohne sie bleibt Wohngeld für viele ein unerreichbares Ziel, ein Wunschtraum, der an bürokratischen Hürden scheitert.

Wie die Zusammenarbeit funktioniert

Die Verbindung von Wohngeld und Beratungshilfe funktioniert wie ein eingespieltes Team – jede Seite ergänzt die andere perfekt. Beratungsstellen, oft bei Mietervereinen, sozialen Trägern oder Verbraucherzentralen angesiedelt, bieten den ersten Kontaktpunkt für Menschen, die Unterstützung suchen. Dort wird die individuelle Lebenssituation analysiert, die Ansprüche werden geprüft und der weitere Weg geplant.
„Hilfe darf nicht zur Hürde werden – Beratungshilfe öffnet die Türen zur finanziellen Unterstützung.“
Typischerweise verläuft eine Beratung in mehreren Schritten:
  • Erstgespräch: Im persönlichen Gespräch klärt der Berater, wie die aktuelle Wohn- und Einkommenssituation aussieht und ob Wohngeld infrage kommt. Dabei wird auch geprüft, ob Beratungshilfe gewährt werden kann.
  • Antragshilfe: Gemeinsam füllen Berater und Ratsuchende die Antragsformulare aus. Dabei werden Stolpersteine frühzeitig erkannt und umgangen.
  • Unterlagenmanagement: Berater helfen, alle notwendigen Nachweise zusammenzustellen – von Gehaltsabrechnungen über Mietverträge bis zu Kontoauszügen. Hierbei spielt das Einkommen des Haushaltes bei der Berechnung des Wohngelds eine zentrale Rolle, da es entscheidend für die Höhe der Unterstützung ist.
  • Verfahrensbegleitung: Sobald der Antrag eingereicht ist, bleiben die Berater Ansprechpartner, falls Rückfragen vom Amt kommen oder Fristen einzuhalten sind.
  • Widerspruch und Klage: Bei einer Ablehnung wird geprüft, ob ein Widerspruch oder gar eine Klage sinnvoll ist, und entsprechende Schritte eingeleitet.
Diese Begleitung ist mehr als juristische Beratung: Sie ist ein Vertrauensverhältnis, das den Betroffenen Mut macht, aktiv zu bleiben – und nicht aufzugeben.

Welche Vorteile gibt es im Verbund?

Die Synergie dieser beiden Hilfen ist essenziell. Sie sorgt nicht nur dafür, dass Menschen finanzielle Unterstützung erhalten, sondern dass diese Hilfe auch tatsächlich ankommt und wirkt.
  • Höhere Erfolgsquote bei Anträgen: Viele Wohngeldanträge scheitern an kleinen Details, falschen Angaben oder fehlenden Nachweisen. Rechtsberater kennen die gesetzlichen Vorgaben genau und helfen dabei, Anträge so einzureichen, dass sie erfolgreich sind. Dadurch steigt die Chance auf Bewilligung erheblich – und Menschen bekommen die Unterstützung, die ihnen zusteht. Es ist, als würde man mit einem erfahrenen Guide durch einen dichten Wald geführt und verliert sich nicht in Irrwegen.
  • Schnellere Bearbeitung: Vollständig und korrekt eingereichte Anträge werden zügiger bearbeitet. Das entlastet nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Ämter. Für die Menschen bedeutet das: weniger Wartezeit, weniger Unsicherheit und schnelleres Geld auf dem Konto. Gerade wenn die finanzielle Lage angespannt ist, kann diese Geschwindigkeit entscheidend sein.
  • Schutz vor Fehlern: Falsche oder unvollständige Angaben können nicht nur zur Ablehnung führen, sondern im Nachhinein auch zu Rückforderungen. Solche Fehler bringen Betroffene oft in noch größere finanzielle Schwierigkeiten. Rechtsberater verhindern diese Fallstricke und sichern den Antrag rechtlich ab. Das schafft Ruhe und schützt vor unangenehmen Überraschungen.
  • Rechtssicherheit: Viele Menschen sind unsicher, welche Rechte sie im Zusammenhang mit Wohngeld und Wohnrecht überhaupt haben. Beratungshilfe schafft Klarheit und gibt Orientierung, wie man seine Ansprüche durchsetzt – egal ob beim Wohngeld, bei Mietstreitigkeiten oder bei anderen wohnrechtlichen Fragen. Wer seine Rechte kennt, steht selbstbewusster im Alltag und kann frühzeitig auf Probleme reagieren.
  • Vermeidung von Wohnungsverlust: In der Praxis ist das vielleicht der wichtigste Punkt: Die Kombination aus finanzieller Unterstützung und juristischer Beratung bewahrt viele Menschen vor dem Verlust ihres Zuhauses. Wenn Mietschulden drohen und die Situation aussichtslos erscheint, kann schnelle und fachkundige Hilfe Leben retten. Die Angst vor Obdachlosigkeit lähmt viele – die Beratung gibt ihnen eine Hand, um wieder festen Boden zu gewinnen.

Gemeinsam stark gegen Wohnungsnot

Beratungshilfe und Wohngeld sind keine isolierten Einzelmaßnahmen, sondern zwei eng miteinander verzahnte Säulen, die Menschen aus der Wohnungsnot heraushelfen. Wohngeld lindert finanzielle Belastungen – doch nur mit der richtigen Beratung wird es tatsächlich erreicht. Die Synergie dieser Hilfen ist ein Hoffnungsschimmer in Zeiten steigender Mieten und wachsender sozialer Ungleichheit. Wer frühzeitig Rat sucht, kann nicht nur Geld sparen, sondern vor allem seine Wohnung behalten und ein Stück Lebensqualität bewahren. Und genau das macht diese beiden Säulen so unverzichtbar: Sie geben Menschen Halt und die Chance, in schwierigen Zeiten nicht unterzugehen, sondern ihren Weg weiterzugehen.

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Reicht das Wohngeld noch?

Die Idee des Wohngelds ist im Kern sozial gedacht. Es soll Menschen mit geringem Einkommen ein würdiges Leben in einer angemessenen Wohnung ermöglichen. Doch was bedeutet „angemessen“, wenn der Quadratmeterpreis in München in manchen Vierteln bei über 20 Euro liegt? Wenn selbst in Randlagen von Berlin oder Hamburg für ein WG-Zimmer mehr verlangt wird, als manch einer für den gesamten Monat zur Verfügung hat? Die Wohnungssuche wird zur Herausforderung – für viele ein täglicher Kraftakt, der längst kein Einzelfall mehr ist.

Ein Zuschuss mit zu kurzem Atem?

Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern in Berlin erhält zum Beispiel rund 500 Euro Wohngeld im Monat. Auf dem Papier klingt das nach Unterstützung. Doch in der Realität ist es ein Tropfen auf dem heißen Stein. Denn selbst für eine kleine Dreizimmerwohnung muss sie oft über 1.200 Euro Kaltmiete einplanen – zuzüglich Nebenkosten, die durch steigende Energiepreise nicht mehr „Nebensache“ sind, sondern zur Hauptbelastung werden. Das eigentliche Problem: Die Berechnungen des Wohngeldes orientieren sich an Mietobergrenzen, die oft meilenweit hinter der Wirklichkeit hinterherhinken. Wer in einer Wohnung lebt, die zu teuer ist, bekommt entweder gar nichts – oder ein gekürztes Wohngeld. Und das, obwohl kein Mensch freiwillig mehr bezahlt, als er muss. Es sind die Marktverhältnisse, die diktieren, nicht der Mietspiegel. Und der Staat zieht sich darauf zurück, als sei die Realität verhandelbar.

Wenn Wohnen zur Zerreißprobe wird

Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf. Es ist Rückzugsort, Sicherheit, Heimat. Doch wer ständig um seine Bleibe fürchtet, kann schwer zur Ruhe kommen. Die emotionale Belastung durch finanzielle Unsicherheit nagt – schleichend, aber stetig. Viele Familien jonglieren mit Überstunden, Minijobs oder verzichten auf Hobbys, soziale Teilhabe und manchmal sogar auf warme Mahlzeiten, nur um die Miete zu stemmen. Was bleibt, ist der stille Rückzug ins Private – oder in die Scham. „Manchmal denke ich, ich lebe nur noch, um die nächste Miete zu zahlen“, erzählt ein Krankenpfleger aus Hamburg, der trotz Vollzeitjob Wohngeldanspruch hat.

Wohnkosten spalten die Gesellschaft

Der überhitzte Wohnungsmarkt schafft nicht nur finanzielle Härten, sondern auch eine neue Form sozialer Ausgrenzung. Wer sich die Mieten in der Innenstadt nicht mehr leisten kann, wird an den Rand gedrängt – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Ganze Berufsgruppen, von Pflegern über Erzieher bis hin zu Busfahrern, verschwinden aus den Innenstädten. Sie pendeln täglich stundenlang, weil ihr Berufsystem für die Gemeinschaft essenziell ist – aber nicht mehr für ein Leben „mittendrin“ reicht. So entsteht eine stille Zweiklassengesellschaft: Wer es sich leisten kann, wohnt zentral, lebt vernetzt, profitiert von kurzen Wegen und kulturellen Angeboten. Wer auf Hilfe angewiesen ist, wird in weniger attraktive Stadtteile verdrängt, oft fernab von Kita-Plätzen, Ärzten oder öffentlicher Infrastruktur. Das Wohngeld kann diese Dynamik kaum auffangen – es verlangsamt sie allenfalls. Spürbare Folgen dieser Spaltung sind:
  • Kinder aus einkommensschwachen Haushalten haben schlechtere Chancen auf gute Bildung, weil der Weg zur passenden Schule weit und beschwerlich ist.
  • Ältere Menschen vereinsamen schneller, wenn sie aus ihrem gewohnten Umfeld verdrängt werden.
  • Die Vielfalt der Städte nimmt ab – es entsteht ein homogenes Bild in den Zentren: gutverdienend, jung, mobil. Der Rest wird unsichtbar.
Was bleibt, ist ein Gefühl von „Nicht-mehr-dazugehören“. Und genau hier beginnt die Entfremdung, die das gesellschaftliche Klima spürbar verändert.

Eine Rechnung, die nicht mehr aufgeht

Was läuft falsch? Das Wohngeld orientiert sich an festgelegten Mietobergrenzen und Einkommensgrenzen, die regelmäßig angepasst werden – aber oft zu spät, zu zaghaft, zu weit weg vom echten Leben. Dabei ist die Höhe des Gesamteinkommens des Haushalts entscheidend für die Unterstützung – ebenso wie die Miete, die tatsächlich bezahlt werden muss. In Städten wie Berlin, München oder Hamburg, wo Wohnraum knapp und begehrt ist, führt das zu einer klaffenden Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Folge: Menschen mit Anspruch auf Unterstützung bekommen entweder zu wenig oder gar nichts, weil ihre tatsächliche Miete „zu hoch“ ist, um als förderfähig zu gelten – ein Paradoxon, das niemandem hilft. Ein Blick auf die Fakten:
  • In München liegt die durchschnittliche Kaltmiete pro Quadratmeter (2024) bei etwa 18,50 Euro – Tendenz steigend.
  • Das Wohngeld berücksichtigt jedoch häufig Mietobergrenzen von maximal 14 bis 15 Euro pro Quadratmeter.
  • Die Folge: Wohnungen, die realistisch angeboten werden, liegen außerhalb des förderfähigen Rahmens.

Perspektiven, die fehlen

Natürlich gab es Reformen: Das Wohngeld wurde mehrfach erhöht, zuletzt mit der Wohngeld-Plus-Reform. Auch Heizkosten sollen anteilig übernommen werden. Doch die Lücke zur Lebensrealität bleibt. Der Wohnungsmarkt kennt keine Gnade. Wer nicht mithalten kann, fällt durchs Raster – selbst mit Zuschuss. Was es braucht, ist ein echter Strukturwandel: mehr bezahlbarer Wohnraum, weniger Bürokratie, schnellere Anpassung an Marktverhältnisse. Und vor allem eine Politik, die nicht auf Durchschnittswerte schaut, sondern auf Einzelschicksale. Was Betroffene fordern ist:
  • Dynamische Anpassung der Mietobergrenzen an den lokalen Mietspiegel
  • Schnellere Bearbeitungszeiten und unkompliziertere Antragstellung
  • Mehr Transparenz und Aufklärung über Rechte und Möglichkeiten
  • Investitionen in sozialen Wohnungsbau statt bloßer Subventionierung von Mietpreisen

Zwischen Hoffnung und Realität

Das Wohngeld ist ein wichtiges Instrument. Es hilft – aber eben nicht allen und nicht ausreichend. In einem Land, das sich als Sozialstaat versteht, darf Wohnen keine Frage des Glücks oder der Herkunft sein. Es braucht Mut zur Veränderung. Denn Menschenwürde beginnt nicht beim Einkommen, sondern bei der Türschwelle zur eigenen Wohnung. Ob das Wohngeld reicht? Die Antwort ist simpel – und ernüchternd: In vielen Großstädten längst nicht mehr. Aber sie könnte wieder lauten: Ja, wenn wir bereit sind, unser System neu zu denken.

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Wie Tafeln das soziale Netz still ersetzen

Man hört kein Klagen, aber man spürt es. In den Blicken, in der Haltung, im Schweigen. Und genau hier zeigt sich, wie sehr Tafeln heute das soziale Netz still ersetzen – leise, unauffällig, aber unübersehbar. Was als ergänzendes Angebot gedacht war, ist zur tragenden Säule für Millionen geworden. Ohne offizielles Mandat, ohne rechtliche Absicherung und oft am Rande der Belastbarkeit stemmen sie Aufgaben, die eigentlich dem Staat zufallen sollten. Sie schließen Lücken, die immer größer werden. Nicht mit lauten Forderungen, sondern mit Tüten voller Brot, Obst und Respekt. Doch wie lange kann diese Stille noch tragen, bevor sie zur Überforderung wird – nicht nur für die Engagierten, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes?

Tafel als strukturelle Stütze

Als 1993 die erste Tafel in Berlin gegründet wurde, war das Ziel klar: Lebensmittel retten und Menschen in akuten Notlagen helfen. Eine Übergangslösung, gedacht für eine Zeit, in der Solidarität gefragt war, aber in der die Sozialhilfe noch wirksamer war als heute. Inzwischen hat sich das Bild grundlegend gewandelt. Die Tafeln sind längst keine Ausnahmeerscheinung mehr – sie sind Teil des Alltags geworden. Ein inoffizielles Element der Armutsbewältigung, das ohne offizielles Mandat Aufgaben übernimmt, die eigentlich dem Sozialstaat zufallen müssten. Über 960 Tafeln mit rund 2.000 Ausgabestellen gibt es heute in Deutschland. Sie versorgen wöchentlich mehr als zwei Millionen Menschen – Tendenz steigend. Rentner mit jahrzehntelanger Berufserfahrung, alleinerziehende Mütter, prekär Beschäftigte, Studierende, Geflüchtete. Die Gründe, warum jemand zur Tafel geht, sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Immer häufiger sind darunter auch Erwerbstätige – Menschen, die arm trotz Arbeit sind. Doch allen gemein ist eines: Sie leben in einem Land, das offiziell zu den wohlhabendsten der Welt gehört – und trotzdem an ihnen vorbeiblickt.

Entwicklung der Tafeln in Deutschland – Vom Übergang zur Stütze

Aspekt 1993 – Erste Tafel in Berlin Heute – 30 Jahre später
Zielsetzung Lebensmittel retten, akute Nothilfe Dauerhafte Hilfe für breite Bevölkerungsschichten
Anzahl der Tafeln 1 über 960
Ausgabestellen einzelne Anlaufstellen mehr als 2.000 deutschlandweit
Nutzergruppen Wohnungslose, Menschen in Not Rentner, Alleinerziehende, Studierende, Erwerbstätige
Staatliche Rolle Ergänzung zur Sozialhilfe Stillschweigender Ersatz für staatliche Lücken
Versorgte Personen pro Woche einige Hundert über 2 Millionen

Wo das Sozialsystem versagt

Ein Sozialstaat sollte Menschen in Not auffangen. Er sollte Würde garantieren, Teilhabe ermöglichen, Perspektiven schaffen. Doch genau das funktioniert immer weniger. Das Bürgergeld deckt oft nur das Allernötigste. Die steigenden Kosten für Miete, Energie und Lebensmittel verschärfen die Situation zusätzlich. Was auf dem Papier als „Existenzminimum“ gilt, fühlt sich für viele längst wie ein Leben unter der Oberfläche an. Doch warum greifen staatliche Mechanismen nicht mehr? Liegt es an der Bürokratie? An fehlender politischer Entschlossenheit? Oder schlicht am gesellschaftlichen Willen? Tatsächlich ist es ein Gemisch aus vielem. Zu geringe Regelsätze, steigende Lebenshaltungskosten, eine Wohnungspolitik, die an den Bedürfnissen der Schwächsten vorbeigeht, sowie ein Arbeitsmarkt, der zwar Beschäftigung schafft, aber keine Sicherheit garantiert. Minijobs, befristete Verträge, Leiharbeit – all das schafft Einkommen, aber keine Existenzgrundlage.

Wenn Ehrenamt zur Ersatzstruktur wird

Die Helfer der Tafeln sind keine Beamten. Sie tragen keine Uniformen, haben keine festen Arbeitszeiten, kein festes Gehalt. Sie machen es aus Überzeugung. Aus Mitgefühl. Aus einem tief verankerten Sinn für Gerechtigkeit. Doch genau darin liegt das Paradoxe. Die freiwillige Hilfe dieser Menschen ist zu einem zentralen Baustein eines Systems geworden, das sich auf ihre Stillarbeit verlässt. Einige Ehrenamtliche berichten, dass sie nicht selten doppelte Schichten machen, um den Andrang zu bewältigen. Dass sie mit Tränen konfrontiert werden, mit Scham, mit Dankbarkeit, die manchmal beschämt. Und sie berichten von wachsender Überforderung – emotional, körperlich, strukturell. Denn je mehr Menschen kommen, desto größer wird auch der Druck auf die, die helfen wollen.

Parallelwelt mitten unter uns

Es ist eine Welt, die vielen verborgen bleibt – entweder, weil sie nicht betroffen sind, oder weil sie nicht hinschauen wollen. Denn Armut in Deutschland ist selten spektakulär. Sie schreit nicht, sie schleicht. Sie verbirgt sich hinter heruntergedrehter Heizung, abbestelltem Schulessen, ausgelassenen Arztterminen. Sie zeigt sich in Second-Hand-Schuhen für die Kinder, im Verzicht auf neue Brillen oder im Wochenende ohne warmes Essen. Tafeln fangen diese Realitäten auf. Doch sie sind keine dauerhafte Lösung. Sie lindern Symptome, nicht die Ursachen.

Was fehlt, sind politische Antworten

Der Staat zieht sich schleichend zurück, wo er eigentlich Verantwortung übernehmen müsste. Und während die Tafeln mehr leisten als jemals zuvor, bleibt eine zentrale Frage unbeantwortet: Wo hört Nächstenliebe auf – und wo beginnt staatliche Pflicht? Es braucht mehr als warme Worte und wohlwollende Danksagungen an die Ehrenamtlichen. Es braucht:
  • eine bedarfsgerechte Erhöhung der Sozialleistungen,
  • einen Mietmarkt, der Menschen mit geringem Einkommen nicht aus dem Zentrum verdrängt,
  • Investitionen in Bildung, Beratung und Prävention,
  • eine armutsfeste Grundsicherung, die nicht entwürdigend ist.

Armut kann jeden treffen

Armut ist keine Randerscheinung. Sie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und sie kann jeden treffen: Krankheit, Scheidung, Jobverlust – ein Schicksalsschlag reicht oft aus. Der Weg zur Tafel ist dann nicht mehr weit. Viele, die ihn gehen, hätten es sich vorher nie vorstellen können. Ein Beispiel: Herr K., gelernter Schlosser, 43 Jahre alt, drei Kinder. Nach einem Arbeitsunfall konnte er seinen Beruf nicht mehr ausüben. Umschulung? Fehlanzeige. Bürgergeld reicht nicht, die Ersparnisse sind aufgebraucht. Die Tafel wurde für ihn zur einzigen Möglichkeit, seine Familie regelmäßig mit frischen Lebensmitteln zu versorgen. „Es ist nicht schön“, sagt er, „aber es ist besser, als nichts zu essen.“

Zeit für einen Paradigmenwechsel

Tafeln sind eine wertvolle Institution. Ein Ausdruck gelebter Solidarität. Doch sie dürfen nicht zum Dauerersatz für politische Verantwortung werden. Sie sind das menschliche Pflaster auf einer strukturellen Wunde – und kein Ersatz für ein System, das Gerechtigkeit garantieren soll. Gerade in einer Zeit, in der Unsicherheiten zunehmen und traditionelle Sicherheitsnetze brüchiger werden, braucht es neue Antworten. Eine davon könnte das bedingungslose Grundeinkommen sein. Es verspricht nicht nur finanzielle Absicherung, sondern auch Würde – unabhängig von Lebensläufen oder Erwerbsbiografien. Ein Grundeinkommen würde Menschen wie Herrn K. davor bewahren, in existenzielle Not zu geraten, nur weil das Schicksal einmal hart zuschlägt. Der Sozialstaat muss sich neu besinnen. Nicht auf das Prinzip der Freiwilligkeit, sondern auf das Versprechen, für alle da zu sein – besonders für die, die keine Stimme haben. Denn sonst wird aus Hilfe eine Gewohnheit, und aus Not eine Normalität.

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